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Hagebutten enthalten zwanzigmal so viel Vitamin C wie die gleiche Menge Zitrone.

© Almut Pook

Heilpflanzen in der Tiermedizin

Kräuter finden sich in wohl fast jeder Hausapotheke und jedem Pferdestall. Sie haben eine jahrtausendealte Tradition in der Anwendung bei Mensch und Tier, lange vor synthetisch hergestellten Medikamenten.

Heilpflanzen bzw. Heildrogen, wie sie in der Pharmazie heißen, finden sich inzwischen überall in den Hausapotheken von Tierbesitzern. Sie werden im Internet verkauft, als Mischung oder Einzeldrogen, von Reitsportketten vertrieben und von einzelnen Futtermittelherstellern als zulassungsfreie Zusatzfuttermittel angeboten.

Warum Heilpflanzen „nicht heilen dürfen“
Als Tierärzte dürfen wir sie als „Arzneimittel“ nur in von Pharmafirmen zugelassenen Vormischungen verwenden. Und auch nur dann, wenn sorgfältig geprüft wurde, ob kein zugelassenes synthetisches Arzneimittel für diese Diagnose auf dem Markt vorhanden ist. Außerdem dürfen wir in der Pflanzenheilkunde bzw. Phytotherapie, wie die Pflanzenheilkunde wissenschaftlich heißt, nur Heilpflanzen nutzen, wenn wir nicht versprechen, dass Heilpflanzen heilen. „Kann helfen bei“ oder „zur unterstützenden Therapie bei“ müssen die Formulierungen laut Gesetz heißen. Das hört sich komisch an, ist aber leider so. In der Volksheilkunde wurden Heilpflanzen seit Jahrhunderten sowohl bei der Behandlung von Menschen als auch von Tieren eingesetzt. Viele Pflanzen werden auch als Heilpflanzen mit erforschten Wirkungen im Deutschen Arzneibuch geführt. Inzwischen gibt es dankenswerterweise jede Menge wissenschaftliche Veröffentlichungen über die Wirkungen der einzelnen Pflanzeninhaltsstoffe.

Heilpflanzen sind Natur und müssen allen Menschen zugänglich bleiben. Deshalb dürfen Pharmafirmen keine Patente auf die Wirkung von Heilpflanzen anmelden. Kein Patent zu haben bedeutet aber, kein Geld zu verdienen.

Dazu kommt, dass Heilpflanzen an sich ein unbestimmbares Gemisch an Wirkstoffen beinhalten, das zu vernünftigen Preisen nicht erforschbar ist. Daher legen Pharmafirmen keinen Wert darauf, Pflanzen zu erforschen. Obwohl beispielsweise Betulin aus der Birke in der Tiermedizin erfolgreich zur Behandlung unterschiedlicher Krebsarten erprobt wurde. Leider hält sich dadurch hartnäckig das Gerücht, dass Heilpflanzen allein nicht heilen könnten, oder nicht wirksam genug dosiert werden könnten, um zu heilen. „Da musst du aber viele Tassen Tee trinken“, wird oft gesagt. Oder, weil Pflanzen so schonend und meist ohne Nebenwirkungen heilen, heißt es, dass unsere Hexenküche „ohne Haupt- und ohne Nebenwirkungen“ sei.

Warum Pflanzen so gut verträglich sind
Pflanzen sind zwar vornehmlich ohne Nebenwirkungen, nicht jedoch ohne Hauptwirkungen. Warum das so ist? Das rührt aus unserer Evolutionsgeschichte. Tiere und auch der Mensch sind seit Jahrhunderten an Heilpflanzen und ihre Aufnahme mit der Nahrung angepasst. Früher, als unser Speiseplan noch artenreich war und unsere Tiere von intakten Weiden ein vielfältiges Angebot an Heilpflanzen mit den Futtermitteln aufgenommen haben, konnten sich unsere Darmflora und unsere guten Darmbakterien sowie die Darmflora unserer Haustiere an die Wirkstoffe der Pflanzen gewöhnen.
Außerdem bildet jede Pflanze eine Art Eigenschutz gegen den Wirkstoff, den sie gegen schädliche Keime und Bakterien bildet. Eigentlich sind die meisten Pflanzenwirkstoffe Fraßgifte und Abwehrstoffe, die sie produzieren, um sich vor Bakterien und Viren zu schützen. Damit schützen sie auch uns.
Verwendet man also in der Therapie die ganze Pflanze und nicht nur einen ausgezogenen einzelnen Wirkstoff, dann nehmen wir einerseits den bakterien- und virentötenden Wirkstoff zu uns, der die schädlichen Bakterien tötet, aber auch das „Gegenmittel“. Dies schützt und stärkt unsere guten Bakterien, unsere Schleimhäute und unser Immunsystem und hilft uns, die krank machenden Keime aus eigener Kraft zu bekämpfen. Oder aber das Immunsystem so zu lenken, dass es bei der Bekämpfung eines Krankheitserregers nicht aus den Fugen gerät (Allergien, Zytokinsturm, überschießende Reaktionen). Hilfe zur Selbsthilfe also und zur Eigenregulation, zusätzlich zur inzwischen bei vielen Pflanzen wissenschaftlich anerkannten Heilwirkung.

Das ist bei synthetischen Einzelwirkstoffen, wie sie die Pharmaindustrie nutzt, nicht so. Obwohl fast alle unsere heutigen Medikamente modifizierte Abkömmlinge von Pflanzenwirkstoffen sind, haben sie durch ihre Isolierung aus der Pflanze an Toxizität, also Giftigkeit, zugenommen. Und damit auch an Nebenwirkungen.

Heilpflanzen sinnvoll und wirksam einsetzen
Damit aber die Pflanzenheilkunde auch heilt und damit keine versehentliche Überdosierung oder eine ungenügende Dosierung erfolgt, gehört sie genauso in die Hände von ausgebildeten Ärzten und Tierärzten wie herkömmliche Arzneimittel. Denn es genügt eben nicht, mit der ungefähren Vorstellung einer Erkrankung online oder im Reitsporthandel mal eine Tüte Weidenrinde zu kaufen oder die Mischung XY gegen Magen-Darm-Beschwerden.

Hier ein Beispiel zum Nachdenken:
Für oder gegen was sollen die allseits beliebten Magen-Darm-Kräuter wirken? Für den Magen? Oder für den Darm? Gegen ein Magengeschwür, gegen Reflux oder gegen eine Magenentleerungsstörung? Gegen ein Zwölffingerdarmgeschwür, Darmkrämpfe, Durchfall, Leaky Gut oder Verstopfung? Sie sehen also, das mit den Magen-Darm-Kräutern ist so eine Sache. 

Und 25 Kräuter in einer Mischung, die alles erschlagen soll, was ihr Tier so krank macht? Sie ergeben keinen Wirkstoffspiegel, der in der Lage ist, Ihr Tier zu heilen. Sie sind nett zur alltäglichen Gesunderhaltung ihres Pferdes. Aber sicherlich nicht ausreichend für eine wirkliche Therapie im Krankheitsfall.

Vielleicht rührt auch daher das Gerücht, dass Pflanzen allein nicht heilen würden. Denn wie in der – ich nenne sie jetzt einmal konventionellen Medizin – braucht es auch in der Pflanzenheilkunde einen Wirkstoffspiegel, der in der Lage ist, wirklich zu heilen. Und dazu muss der Tierarzt, wie in der konventionellen Medizin auch, eine vernünftige Diagnose stellen, anhand von Blutuntersuchungen, Ultraschalluntersuchungen, allgemeinen Untersuchungen usw. Eine pilzinfizierte Wunde lässt sich manchmal nur durch eine Laboruntersuchung von einer bakteriell besiedelten Wunde unterscheiden.
Das Ergebnis dieses Abstrichs beeinflusst nicht nur die Behandlung in der konventionellen Medizin, sondern auch, mit welcher Pflanze ich die Wunde behandeln würde. Und zu einer vernünftigen Untersuchung und Therapie gehört für mich, dass ich einen Patienten direkt vor mir haben muss. 
Uns wurden fünf Sinne gegeben, damit wir sie nutzen, auch in der Medizin. Bestimmte bakterielle Infektionen haben einen eigenen Geruch, da braucht man nicht einmal einen Abstrich. Bestimmte Stoffwechselerkrankungen auch. Hautveränderungen fühlen sich anders an, wenn die Effloreszenzen knotig sind oder blasig. Und das alles beeinflusst auch die Wahl meiner Heilpflanzen zur Therapie des erkrankten Tieres. Daher ist der persönliche Kontakt zum Patienten das wichtigste Element für eine erfolgreiche Therapie. Dies gilt auch für den konventionellen Tierarzt. Alles andere ist in meinen Augen unseriös.

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