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„Entspannung und Emotionalität in Verbindung mit dem Tier und in der Natur, das steht heute immer mehr im Fokus. Dem muss man sich als Ausbilder anpassen.“

© Stefan Lafrentz

Wissen und Werte vermitteln

Jan André Schulze Niehues ist seit 2023 im Vorstand der „Bundesvereinigung der Berufsreiter“ als Vertreter der jungen Berufsreiter ehrenamtlich aktiv.

R&P: Wie muss ein Pferdebetrieb heutzutage aufgestellt sein, um den Kunden gerecht zu werden?
Jan André Schulze Niehues: Wir erleben auf unserem Betrieb im Umgang mit dem Pferd eine Motiv-Verschiebung, besonders bei den erwachsenen Neu- und Wiedereinsteigern. Das turniersportliche Leistungsmotiv, welches früher im Fokus stand, ist etwas in den Hintergrund gerückt. Stattdessen ist der Umgang mit dem Pferd - als Ausgleich zum einem häufig stressreichen Alltag - in den Vordergrund gekommen. Entspannung und Emotionalität in Verbindung mit dem Tier und in der Natur, das steht heute immer mehr im Fokus. Dem muss man sich als Ausbilder anpassen. 
Auch bei Kindern und Jugendlichen sind Veränderungen bezüglich der Motivation festzustellen. Früher haben 90 % aller unserer Reitabzeichenabsolventen in der Folgezeit an Turniersportprüfungen teilgenommen. In der heutigen Zeit sind es vielleicht noch 10 %. Daran sieht man, welche Entwicklung in den vergangenen 10-15 Jahren stattgefunden hat. Das hat sicherlich unterschiedlichste Gründe. 
Bei uns ist die Nachfrage nach Reitabzeichenlehrgängen derzeit im Vergleich zu Reitkursen ohne Prüfung größer. Es zeigt, dass die Reitabzeichen interessant geblieben sind und die Neustrukturierung sich an die geänderten Anforderungen der Gesellschaft angepasst hat. Zudem spiegelt es die Stärkung der Reitabzeichen unabhängig vom Turniersport wider.
Es ist eine wichtige Aufgabe, auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden einzugehen. Wir sehen uns als Ausbilder da auch in einer beratenden Rolle.  
Gerade bei Kindern aus Familien, die nicht im Reitsport zu hause sind, ist die Einschätzung des Ausbilders gefragt. Insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen Leistungsprüfungen erläutern wir den Lehrgangsteilnehmern unsere Einschätzung ausführlich. 
 

R&P: Wie groß ist die Nachfrage nach qualifiziertem Unterricht?
J. A. Schulze Niehues: Die Nachfrage nach fachlich fundiertem Unterricht ist ungebrochen. Er ist – je nach Region – unterschiedlich verfügbar und insbesondere das Angebot an Lehrpferden ist bundesweit geringer geworden.
Wo die Entwicklung in den nächsten Jahren hingeht, kann man aufgrund der wirtschaftlichen Lage nur schwer prognostizieren. 
Bis jetzt ist eines unserer Alleinstellungsmerkmale, dass wir eine vielseitige Grundausbildung – Dressur, Springen, Gelände – anbieten. Vom Reitanfänger bis zum fortgeschrittenen Reiter. Selbst die geführten Reitstunden finden bei uns nicht nur in der Reithalle, sondern sehr früh auch im Außenbereich statt. 
Das ist vielleicht in anderen Betrieben aufgrund der Infrastruktur nicht möglich, sodass wir diesbezüglich eine Wertschätzung bei unseren Gästen erfahren. 
 

R&P: Wie groß ist das Team Ihrer Fachschule Reiten?
J. A. Schulze Niehues: Insgesamt umfasst unser Team cirka 25 Personen. Davon sind acht Mitarbeiter im Bereich Reitausbildung tätig. Für die Reitschüler und Gäste stehen etwa 40 Lehrpferde und Lehrponys zur Verfügung.
Wir setzen einen deutlichen Schwerpunkt auf die reitsportliche Wissensvermittlung. 
Aufgrund der zunehmenden Individualisierung sind die Reitgruppen kleiner geworden: Waren früher im Unterricht sechs bis acht Reitschüler üblich, liegt heute unsere Gruppengröße bei maximal vier Personen.  Dementsprechend benötigt unser Betrieb heute mehr Reitausbilder.
Ergänzend dazu bieten wir die Fortbildungsbereiche mit dem Pferd auch außerhalb des klassischen Reitens an. Hierzu gehört beispielsweise die Longenarbeit, die Langzügelarbeit und die Bodenarbeit.
Wir haben zwei Mitarbeiterinnen, die sich in diesen Bereich besonders fortgebildet haben. Aufgrund der starken Nachfrage, haben wir beispielsweise für die Bodenarbeit einen eigenen Platz erstellt. Hier stehen unterschiedliche Elemente, mit denen die Gäste auch selbstständig gewisse Dinge üben können.
Kümmern, Pflege, Beschäftigung mit dem Pferd – diese Bereiche haben sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. Bei uns sind diese Gäste willkommen, sie sind nicht Reiter „zweiter Klasse“. 
Dabei ist es uns wichtig, auch bei jeder Beschäftigung mit dem Pferd vom Boden aus, nicht den Faden der klassischen Ausbildung zu verlieren. Sicherheitsaspekte werden bei jeder Beschäftigung mit dem Pferd berücksichtigt. In dem Moment, wo für diese Art der Beschäftigung mit dem Pferd keine Ausbilder aus unserem Ausbildungssystem zur Verfügung stehen, öffnet das die Tür für nicht nach unseren hohen Maßstäben ausgebildete Dritte.

R&P: Wie wird die Entwicklung weitergehen?
J. A. Schulze Niehues: Wir erleben gerade die Situation, dass das Halten eines Pferdes immer teurer wird, immer weniger Menschen können es sich erlauben. Doch der Wunsch zu reiten und sich mit dem Pferd zu beschäftigen, ist weiterhin groß. Dementsprechend möchten viele zum Beispiel auf ein Lehrpferd zurückgreifen. 
Wir sehen das Lehrpferd elementarer denn je in der Ausbildung eines Reitschülers. Aber das Ganze will natürlich finanziert werden und die Zahlungsbereitschaft für qualifizierten Unterricht auf Lehrpferden sowie deren Wertschätzung sind nicht immer gegeben. Deshalb ist auch für uns nicht immer einfach, gute Lehrpferde zu kaufen und zu halten. 

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